Samstag, 25. Oktober 2008

Dr. Simon Aichner, Arzt in Sibirien 1915-1920


Vorwort
Die Erkenntnis ist nicht neu, dass langjähriger ehemalige Kriegsgefangene, die seinerzeit aus Gefangenschaft in Sibirien heimkehrten, kaum oder nur sehr wenig über ihre Erlebnisse erzählten. Meist nur ein Mal, wenn sie zu Hause angekommen waren, aber dann kaum mehr wieder. Das war im Ersten und im Zweiten Weltkrieg so. Ich denke, dass der Grund dafür in der eigenen Erkenntnis der Erzähler lag, dass ihre Worte kaum das Erlebte wiederzugeben vermochten, oder dass sie fühlten, ihre Zuhörer mangels Einfühlungsvermögen streckenweise sogar zu langweilen.
Das war auch bei uns zu Hause so. Mein Vater, Dr. Simon Aichner war allerdings schon mehr als zehn Jahre vor meiner Geburt in sibirischer Gefangenschaft gewesen, so dass schon aus diesem Grund zu meiner Zeit kaum mehr viel davon geredet wurde. Auch die nachstehend wiedergegebene „Lebensbeschreibung" kam mir erst vor wenigen Jahren in die Hände, als diese in meinem Heimathaus im Pustertal durch Zufall gefunden wurde.
Nur in groben Zügen waren in unserer Familie die Erlebnisse meines Vaters in Sibirien bekannt. Es ist auch anzunehmen, dass er den ganzen Text seiner „Lebensbeschreibung" mit einer Unzahl von Daten und Namen zum einen aus den mitbekommenen Zeugnissen über seine medizinische Tätigkeit und zum anderen ca. 20 Jahre nach der Heimkehr aus der reinen Erinnerung niedergeschrieben hat, denn persönliche Aufzeichnungen aus der Gefangenschaft selbst waren unbekannt. Sein unwahrscheinliches Gedächtnis war uns Kindern allerdings nichts Neues. Insgesamt war Dr. Aichner er in folgenden Lagern ärztlich tätig (siehe auch Bestätigungen Nr. 1 bis 3):
- (Werchne Udinsk) 1915-1917
- in Troitzkossarsk, 1917-1918
- in Irkutzk, 1918-1920
Der nachfolgende Text aus dem Jahr 1942 ist sehr wahrscheinlich nur ein unvollständiger Entwurf einer nachgefolgten, (nicht mehr vorhandenen) Endfassung. So fehlt nämlich jeglicher Hinweis zur in den letzten 20 Jahren vor der Niederschrift herangewachsenen Großfamilie mit neun Kindern und zu seiner ausgedehnte Arztpraxis in Niederrasen, die im Olanger Talkessen und im Antholzertal sich über 20 km mit mehreren tausend Einwohnern erstreckte. Dies hat aber mit der Thematik des „Arztes in Sibirien" nichts zu tun und ist daher hier nur von zweitrangiger Bedeutung. Der vorhandene Text wird hier in Kursivschrift wiedergegeben. Bemerkungen und Ergänzungen als Fußnoten durch den Bearbeiter siehe am Ende der „Lebensbeschreibung" in Normalschrift


Lebensbeschreibung Dr. med. Simon Aichner
„Ich, Dr. Simon Aichner, Arzt, dzt. In Innsbruck, Schöpfstraße 4, früher Gemeinde-arzt in Niederrasen, Bruneck, ausgewandert am 25. April 1942.
Ich bin geboren am 16. Februar 1887 in Terenten (Bezirk Bruneck), als Sohn des Josef Aichner, Schmiedmeister (sog. Schmied im Bach) und der Agnes Rofner, geb. in St. Sigmund. Ich besuchte das Gymnasium Vinzentinum in Brixen von 1899 bis 1907, wo ich am 10. Juli das Reifezeugnis erhielt.



(1)Heimathaus in Terenten, 1910

Medizinstudium in Innsbruck
Am 15. Jänner 1908 wurde ich an der medizinischen Fakultät der Universität Innsbruck inskribiert, nachdem ich vorher einige Wochen philosophische Vorlesungen besucht hatte. Nachdem ich alle Prüfungen zu den vorgeschriebenen Terminen abgelegt hatte, wurde ich am 19.Mai 1913 zum Doktor der gesamten Heilkunde promoviert. Während der Studienzeit habe ich vom 1. April 1910 bis 1. Oktober 1910 als einjahrig-Freiwilliger Mediziner das erste Halbjahr beim 2. Regiment der Tiroler Kaiserjäger in Mezzolombardo und in Bozen abgedient.



(2) Dr. Simon Aichner, ca, 1955

Gemeindearzt in Niederrasen im Pustertal
Wenige Tage nach der Promotion habe ich als Gemeindearzt den Sanitätsdienst Sprengel in den damals so eingeteilten Gemeinden Ober- und Niederrasen, Olang, Antholz und Geiselsberg übernommen, nachdem die Anstellung schon einen Monat früher erfolgt war.

Der erste Weltkrieg bricht aus
Am 1. August 1914 bin ich als Arzt bei der Allgemeinen Mobilmachung zum 3. Regiment nach Brixen (Kader) eingerückt, ohne Offizierscharge, nachdem ich das 2. Halbjahr noch nicht abgedient hatte; vor dem Auszug ins Feld wurde ich vom Regiment zum titl. Zugsführer befördert. Die Beförderung zum Assistenzarztstellvertreter erfolgte erst 1914 mit Rückwirkung ab 1. August 1914, da alle diesbezüglichen Dokumente beim Regiment verloren gegangen waren. In Galizien wurde ich zur Divisionssanitätsanstalt Nr. III und von dieser zum Feldspital 1/XXIV (um den 20. August) abkommandiert. Bei diesem habe ich als Arzt Dienst gemacht und bei den Gefechten von Ende August bis 7. September (in der Nähe von Brlz, Gegend von Sokal, Niski, Uhnov). Nachdem Lemberg über-raschend von den Russen genommen wurde, hätten wir mit dem Spital über Uhnov nach Nava Russka zurückgehen müssen. Als wir am Morgen des 7. September von Uhnov auf-brechen sollten, begann unerwartet außerhalb dieser Stadt, in der Richtung die wir ein-schlagen wollten, ein Gefecht, das sofort mit dem Rückzug der Unseren in die Stadt endete, nachdem auf unserer Seite nur Trainee und Bewachungsmannschaft zur Verfügung stand und die eigentliche Truppe schon nach Nava Russka abmarschiert gewesen war.

Nach drei Wochen Krieg bereits in russischer Gefangenschaft
Die Russen waren unerwartet von Lemberg (Südwesten) heraufgekommen. Von unserem Kommandanten, Rgt. Arzt Dr. Wurdak wurde das Spital den Russen übergeben, der Kommandant hatte den Befehl von Nisi (wo die Verwundeten einem Reservespital übergeben wurden) nach Uhnow zurückzukehren, am Ende der Marschkolonnen und von dort weitere Befehle abzuwarten. Dieser Befehl wurde allzu pünktlich ausgeführt; wenn wir zu Beginn des Gefechts, als die Ämter aus der Stadt flohen (Steueramt etc.) in die Richtung Nordwesten, mit Zurücklassung der Wagen, sofort Reißaus genommen hätten, wäre das Personal wahrscheinlich noch durch-gekommen.
Man muss aber bedenken, dass damals allgemein die Meinung herrschend war, dass das Sanitätspersonal (gemäß Genfer Konvention) ohnehin ausgetauscht würde, und dass die Gefangenschaft nicht besonders tragisch genommen wurde, erst als wir in Kiew (auf der Zitadelle) mehrere Tage uns aufhielten und einvernommen wurden, wurde uns erklärt, dass es da keinen Unterschied gäbe, und dass die Genfer Konvention nicht angewendet würde. 1...


Die lange Fahrt nach Krasnojarsk in Sibirien
Wir fuhren am 18. September von Kiew ab und fuhren über Kursk, Woronesch, Pensa, Samara (Kuiischew), Ufa, Itelianowsk, Omsk nach Krasnojarsk, wo wir am 4. Oktober ankamen und in die dortige Garnison (ein ausgedehntes Barackenlager) untergebracht wurden.
Es stellte sich heraus, dass die Unterkünfte für die vielen Gefangenen nicht ausreichten und es wurde angeordnet, dass zwei Transporte (zu ungefähr je 1000 Mann) weiter nach Osten abtransportiert werden sollten. Nachdem von den dort anwesenden Ärzten keiner freiwillig sich als Begleitpersonal meldete, wurde ich mit anderen (als Jüngsten) dazu dienstlich vom ranghöchsten Offizier bestimmt.


Weiterfahrt nach Werchne-Udinsk
Nach fünf Tagen Fahrt kamen wir am 20. Oktober in Bereskowa bei Werchne-Udinsk, nicht weit vom östlichen Ufer des Baikalsees an, wo die Mannschaft unter weit besseren und günstigeren Verhältnissen in den dortigen Holzbaracken untergebracht wurde.
Wir haben dort einen Ambulanzdienst im Lager eingerichtet; ein Spital fehlte vorerst noch, aber die Russen haben uns halbwegs das gegeben, was sie selbst hatten, bis höhere Kom-mandanten intervenierten, hatte es lange genug gedauert. Das Spital wurde im Laufe des Februar 1916 etabliert und bis dahin mussten die Kranken in das Rote-Kreuz-Spital in die Stadt ca. 10 km transportiert werden, bei minus 30-40 Grad auf einem Schlitten.
Von da an hat der Dienst halbwegs funktioniert; Rgt. Arzt Dr. Zeidner (Ungar) leitete diesen. Ich selbst hatte in einem Bezirk (die Russen nannten ihn das VI Bataillon) mit ca. 1400 Mann, vorwiegend Reichsdeutschen, den Ambulanzdienst zu besorgen; es gab besonders im Verlaufe des Winters 1914/1915 sehr viele Kranke an Bauch- und Flecktyphus und gegen das Frühjahr massenhaft Skorbut. Dieser Zustand dauerte bis 1916; da wurde in der zweiten Garnison von Werchne-Udinsk, dem sog. Eisenbahnpark, ein zweites Gefangenenlager mit 20.000 Mann ein-gerichtet, mit einem Spital, und ich wurde dorthin abkommandiert zum Spitaldienst. Die Mannschaft wurde in ungeheuren Baracken (ehemaligen Magazinen für Feldbahnen 1000 Mann je einer untergebracht. Das Spital wurde halbwegs erträglich eingerichtet, mit annehmbaren Betten, Einrichtungen etc., was auch von Deutschen- und Österreichischen Roten-Kreuz-Missionen anerkannt wurde.
Im Verlauf des Jahres 1916 wurde fast die ganze Mannschaft, mit Ausnahme von Offizieren, Unteroffizieren, Aspiranten, Feldwebel, Invalide, Kranke auf Arbeit abkom-mandiert, so dass bis zum Sommer oder Herbst 1916 nur mehr 800 bis 1000 Mann im Lager blieben, mit einem verhältnismäßig hohen Spitalsbelag; die Abteilungen im Spital schrumpften daher ziemlich zusammen und es waren Ärzte überflüssig. (Siehe Bestätigung Nr.2)


Im Lager Troizkosarsk
Als dann im Sommer 1917 das Lager Troizkosarsk bezogen wurde, wurde ich dorthin als Spitalsarzt abkommandiert, ca. 250km von Werchne-Udinsk, unmittelbar an der mongolischen Grenze (Kiachta); 800 Österreichische und 30 Reichsdeutsche Offiziere gingen dorthin ebenfalls ab. Das Spital war für 20–30 Mann eingerichtet.


(3) Elsa Brandström


(4) Gräfin Nora Kinsky


(5) Patienten in einem sibir. Lazarett. Der vierte von links Prof. Burghard Breitner

Eine Rote-Kreuz-Mission (Elsa Brandström und Frau Hauenstecken) versahen das Spital mit genügend Medikamenten und sonstigen Behelfen; Instrumente wurden von den Russen reichlich beigestellt. Die Zustände im Lager waren verhält-nismäßig günstig; nur die Verpflegung wurde wegen der inzwischen einge-tretenen Teuerung schwierig. Es wur-den mir von Frau Hauenstecken ca. 2.000 Rubel aus Tientsin überwiesen, die ich an das Offizierslager abgab, da die Mannschaft (ca. 250 Mann) regelmäßig Lohn empfing und wir wie die russische Mann-schaft verpflegt wur-den. 1 ...
Das Lager Troizko-sarsk wurde Ende März 1918 plötzlich abgebrochen, weil man befürchtete, dass wegen der nahen Grenze (zur heutigen Mongolei) eine Invasion der Japaner kommen könnte (Friedensschluss von Brest Litowsk, Möglichkeit einer Bewaffnung der Gefangenen durch die Sowjets gegen die Entente) Es kehrte das gesamte Lager nach Berskowa zurück, wo ich dann eine Abteilung im Spital übernahm.. 2 ...
Im Lager Bereskowa
Nun kam folgender Zwischenfall: im Spital von Bereskowa warteten ca. 25 Invaliden auf den Abtransport nach Deutschland; der Delegierte des Schwedischen Roten Kreuzes, Herr Andersen, der mir persönlich geneigt war, beanspruchte mich zur Begleitung dieser Inva-liden nach Moskau; ich fuhr mit diesen Kran-ken am 28.5.1919 von Bereskowa ab; Als wir am 29. d.M. in Irkutsk ankamen, hieß es, die Strecke sei nicht mehr frei, in Kausk hätten die Tschechen gemeutert und die Strecke besetzt. Die Fahrt musste unterbrochen werden, und die Kranken kamen ins Gefangenenspital; da aber im Lager genügend Ärzte vorhanden waren, war ich überflüssig und auch ohne Beschäftigung – bis November 1918.
Im Krankenhaus Irkutsk
Inzwischen hatten die Tschechen[1] in Irkutsk eine große Garnison bezogen und auch ein Spital eingerichtet, für das ihnen die Ärzte fehlten, da ihre Ärzte hohe Chargen bekleideten und nur Kanzlei(Bro)dienst verrichteten.



(6) Leo Trotzky, erster Führer der Roten (Bolschewiki)


(7) Dr.S. Aichner (Pfeil, Mitte) mit Kollegen in einem sibirischen. Lager. Ort unbekannt

Es kam daher eine Anfrage an das russische Lagerkommando, ob sich Kriegsgefangenen-Ärzte, die ohne Beschäftig-ung waren, für das tschechische Spital zur Verfügung stellten, freiwillig; wenn nicht, erfolgte die Kommandierung. Da ich in erster Linie in Betracht kam, da schon ein anderer Arzt (Dr. Schneider aus Graz) im tschechischen Spital Beschäftigt war. Da ferner vom ranghöchsten Arzt nichts eingewendet war, und die Sache außerdem vom Deutschen Roten Kreuz im Interesse eines günstigen Einvernehmens gerne gesehen wurde, habe ich mich zur Verfügung gestellt und bin am 18. November ins russische Spital, wo die tschechische Abteilung unabhängig untergebracht war, abgegangen. Ich musste nur die Zusicherung abgeben, die Arbeitsmannschaft im Spital, 250 Kriegsgefangene und die Arbeitsmannschaft in der Stadt, auch einige hundert Mann, ärztlich zu betreuen, was in der Folge auch geschehen ist. Ich kann versichern, dass es in der Folgezeit im Bereich der Stadt Irkutsk in keiner Weise zu irgendwelchen Ausschreitungen gegen Gefangene gekommen ist, wie etwa im Fernen Osten (Wladiwostok); es besteht kein Zweifel, dass wir da eine Art ausgleichendes Moment [im Spannungsfeld Russen-Tschechen. Anm. d. Verfassers] gebildet haben 3 ..4 ...
Außerdem hatte uns die ganze Art und Weise, wie die Tschechen mit Koltschak umgingen und zu den Roten umschwenkten, sehr angewidert, so dass wir beschlossen, uns von ihnen zu trennen, wenn wir auch nicht wussten, was nun unter den Roten geschehen würde. Diese haben aber im Großen und Ganzen die Großmütigen gespielt (Wie es auch Frau Alja Rachmenowa in ihren Büchern berichtet5 ... Die Roten haben niemandem ein Haar ge-krümmt, so-weit man nicht an früheren politischen Auseinandersetzungen beteiligt gewesen war. Uns haben sie Spital im früheren Dienst belassen und haben uns noch zu allem Überfluss als mobilisiert erklärt, wie auch die übrigen Gefangenen, sodass wir später, als die Möglichkeit einer Heimfahrt gekommen war, vor eine eigene Kommission treen und uns als dienstuntauglich aus irgend- einem Grund erklären mussten, um frei zu werden. Dies ist auch ohne Schwierigkeit geschehen, da die dabei funktionierenden Ärzte alle unsere guten Bekannten waren.
Ich bin in solchem Dienst gestanden vom Jänner 1920 bis September 1920; wir mussten da mithelfen, die furchtbaren Folgen des Bürgerkrieges zu liquidieren; Bauch- und Flecktyphuskranke hat es in einer Menge gegeben, wie in den Gefangenenlagern kaum zu den schlimmsten Zeiten; wenn die Kranken, die in der Weißen Armee gedient hatten, nicht starben, wurden sie aus den Spitälern heraus zu den Gerichtsverhandlungen geholt. (Siehe Bestätigung Nr.3)



(9) Dr. Montandon


(8) Heimkehr 1921 im Frachter „Frankfurt"

1920, Heimfahrt nach Österreich und Ankunft in Innsbruck (Mission Dr. Montandon) 6...
Im September 1920 hieß es plötzlich, das Amerikanische Rote Kreuz hätte im Osten Schiffe gechartert für den Abtransport der Gefangenen in ihre Heimat; und tatsächlich kam es auch so; nach dem wir auch alle von einer ärztlichen Kommission als dienst-untauglich erklärt worden waren, fuhr unser Transport mit fast 800 Mann an Bord am 20. September 1920 von Irkutsk ab und wir kamen am 8. Oktober in Nikolsk-Ussurysk (bei Wladiwostok) nach vielen Kontrollen und Verzögerungen an. Zunächst wusste man nichts über die Weiterfahrt, aber bald wurde bekannt, dass die „Frankfurt", ein ehemals deutsches Frachtschiff, das seinerzeit Militärtransporte zwischen Kiel und Kiantschao besorgte, uns an Bord nehmen werde, mit englischer Besatzung. Und so geschah es auch. Wir gingen an Bord am 20. November 1920 und wir landeten in Triest am 2. Jänner 1921. Ich fungierte nebst einem ungarischen Mediziner als Schiffsarzt, wofür ich vom österreichischen Roten Kreuz mit 100 Yen honoriert wurde. 500 Österreicher, 800 Ungarn und 150 Galizier fuhren mit einigen Passagieren: Die Engländer sind mit der Mannschaft anständig umgegangen, die Verpflegung war gut, wenn auch nicht nach dem Geschmack der Leute; besonders die Ein-teilung der Mahlzeiten hat ihnen nicht gefallen. An Bord war immer alles wohl auf, nur in Nagasaki ist ein Engländer an Alkoholvergiftung gestorben. In den englischen Häfen hat kein Gefangener britischen Boden betreten dürfen, dafür sind die Japaner in Nagasaki sehr höflich gewesen und haben uns alles Mögliche gezeigt. Die stolzen Engländer hätten es sich gewiss nicht träumen lassen, dass sie einstens in Singapore selber Gefangene sein würden, wo sie seinerzeit so verächtlich herunter sahen.
Ankunft in Innsbruck am 5. Jänner 1921, abends 6 Uhr. Bei der Abfertigung in der Traine Kaserne [=Ausbildungskaserne, Anm. d.Verf.]. Bei der Ankunft in der Traine Kaserne hat der österreichische Feldwebel, als er mir den Fahrschein bis zum Brenner 2. Klasse aushändigte, erklärt, „das ist alles, was Sie vom Österreichischen Staat noch zu verlangen haben" .... Keine Gebühren, keine Beförderung, nicht einmal ein schäbiges Dankeschön! Und doch muß ich heute [zwanzig Jahre später] noch erklären, dass ich in dieser ganzen Zeit von 6 Jahren vielen Menschen, nicht nur österreichischen und deutschen Kameraden, sondern allen, ohne Unterschied der Nationalität, Freund und Feind (im Sinne des weltweiten Roten Kreuzes), sehr viel Gutes getan habe. Bei allen in Diensten, bei niemandem bezahlt.7
1921, wieder Gemeindearzt in Niederrasen im Pustertal, Bemerkungen zum Leben unter den Faschisten; indirekte Begründung zur Option 1940.

Das Leben unter den Faschisten beginnt
Ich bin im März 1921 nach Niederrasen zurückgekehrt und habe sozusagen am anderen Tage zu arbeiten angefangen, als ob nichts geschehen wäre!
Damit hat das „wallische" Spiel angefangen, nach außen hin höflich und freundlich, innerlich aber in Verachtung und mit dem Gefühl der Beleidigung und permanenten Kränkung und Zurück-setzung, weil das Doppelspiel Selbst-verständlichkeit und die Unterdrückung des gerechten Ärgers und Zornes zur unbedingten Bürgerpflicht geworden sind. Ich habe um die voreilige Abwanderung angesucht, weil mein Verdienst infolge der Abwanderungen sich empfindlich verringert hat. (keine Kassen mehr, ital. Arzt im gleichen Ort usw.)"


Hier bricht der handschriftliche „Lebensbericht" des Dr. Simon Aichner aus dem Jahr 1942 am Ende einer Seite ab und – wie bereits eingangs erwähnt - ein eventueller Rest, oder gar eine Reinschrift, ist nicht vorhanden.
Dr. S. Aichner ist im Jahr 1969 verstorben und der vorliegende Bericht wurde erst ca.. 30 Jahre später aufgefunden, so dass eine nachträgliche Befragung zu eventuellen Ergänzungen nicht mehr erfolgen konnte. Es ist aber nicht zu übersehen, dass die „Lebensbeschreibung" des Dr. S. Aichner weit über das hinausgeht, was man bereits zu jener Zeit unter einer Bewerbungsunterlage verstand, die zum Zweck einer Stellenbewerbung verfasst wurde.. Andrerseits ist auch nicht verbürgt, dass der Bericht in dieser Form den Behörden in Innsbruck überreicht wurde. Wichtig scheint jedoch, dass die niedergeschriebenen Fakten das aufgewühlte Seelenleben eines Menschen wiedergeben, der seine Heimat erneut aus widrigen Umständen verlassen musste und nun in diesen, von der Innsbrucker Behörde verlangten Lebenslauf sein bereits erlebtes Schicksal von der Seele schreiben wollte. Dies bewirkte offensichtlich auch bei einem gestandenen Mann einen erheblichen seelischen Druck. Offensichtlich fand sich Dr. S. Aichner 1942 genau an derselben Stelle in Innsbruck wieder, nämlich in der Schöpfstraße 4, wohin er etwa 20 Jahre zuvor aus Russland heimgekommen war.
Keineswegs kann man im Akt der Option die vielfach (speziell von der jüngeren Generation) bis in die jüngste Zeit gerne kolportierte Interpretation ableiteten, die Südtiroler Optanten seien den nationalsozialistischen Verlockungen von Herren gefolgt, die dem Dritten Reich nahe gestanden waren und sich für ihre Option entschieden. Dies musste sich der Verfasser wiederholt in den vergangenen Jahrzehnten anhören. Wie weit dies für andere Optanten zutrifft, kann man nicht beurteilen. Zu bemerken ist auch, dass Dr. S. Aichner zur Zeit der Faschisten obligatorisch in deren Partei P.N.F. (Partito Nazionale Fascista) eintreten musste – dieses Vorgehen wiederholte er aber nicht als Staatsbürger des Dritten Reiches. Das eine Mal hatte ihm offenbar gereicht.
Erstaunlich ist immerhin die Beobachtung, dass das Leben unter dem Faschismus für Dr. S.A. unerträglicher erscheint, als die vorangegangenen fünf Jahre Gefangen-schaft in Sibirien

Wie ging es nun nach der Abgabe der „Lebensbeschreibung" in Innsbruck weiter?
Von der Umsiedlungsbehörde in Innsbruck wurden Dr. Aichner zwei Stellen zur Auswahl angeboten: Frastanz und Hard am Bodensee, beide im Vorarlberg. Er entschied sich für Hard am Bodensee, aber auch diese Existenz sollte nicht lange dauern.

Dr. Simon Aichner, (prov.) Gemeindearzt in Hard am Bodensee
Simon Aichner übernahm 1942 kurz nach der Zuweisung der Stelle den Gemeindearzt in Hard bei Bregenz und die Familie zog im Rahmen der Option von Niederrasen bald darauf ebenfall dorthin. In Innsbruck hatte er den Hinweis erhalten, dass die Stelle nur bis zur eventuellen Rückkehr des inzwischen zur Deutschen Wehrmacht einberufenen ordentichen Gemeindearztes gelten sollte.; so war dies eigentlich erneut nur eine provisorische Angelegenheit.

Dr. S. Aichner nun selbst auch Arzt russischer Gefangener
Die neue Arbeitsstelle erwies sich als sehr intensive Praxis einer Ortschaft mit etwa 8000 Einwohnern, denen auch größere Siedlungen von inzwischen ausgewanderten Südtirolern sowie ein russisches Gefangenenlager gehörte. Dr. Aichner musste gleich die Erfahrung machen, dass die Vorarlberger im Deutschen Reich kassenärztlich bestens organisiert waren und daher wesentlich mehr und öfter zum Arzt gingen als seine Landsleute seinerzeit im Pustertal.
Das Gefangenenlager.mit mehreren Baracken lag direkt am Bodensee. Die Zahl der Insassen war allgemein unbekannt und Ihre Kranken gehörten ebenfalls zum Verantwortungs-bereich des neuen Arztes. Krankenbesuche musste er im Lager machen und die ambulanten Patienten kamen etwa wöchentlich in seine Ordination, die unserer Wohnung im Zentrum der Ortschaft angeschlossen war. Sie marschierten zum Arzt im Gänsemarsch durch den Ort, jeweils an der Spitze und am Ende von einem bewaffneten, deutschen Soldaten eskortiert. Zur Behandlung gingen die Gefangenen einzeln, jeweils begleitet von einem der deutschen Soldaten in das Sprechzimmer zum Arzt, während die anderen im Wartezimmer, bewacht vom zweiten Soldaten warten mussten.. Dr. Aichner sprach mit ihnen russisch, ohne dass dies von der Wache beanstandet worden wäre. Für die Gefangenen war dies eine sehr angenehme Überraschung und so war der Arzt bei ihnen recht beliebt. Sie wollten ihm zu Kriegsende, als sie von den anrückenden Franzosen befreit wurden, ein Geschenk in Form eines selbst gebauten Schiffsmodelles überreichen, das er aber (zu seinem späteren Bedauern) mit dem Hinweis ablehnte, sie sollten es jemandem geben, der ihnen dafür etwas ordentliches zu essen geben könnte.
Die russischen Gefangenen hatten in der Kriegszeit in einem örtlichen Industriebetrieb gearbeitet, in dem sie in der Produktion ein tägliches Soll an bestimmten Stückzahlen zu erfüllen hatten. Bei Nicht Erfüllung gab es Stockschläge an einzelne, willkürlich herausgegriffene Gefangene, die üblicherweise von einem Wehrmachts- oder SS-Angehörigen vorgenommen wurden. Im vorliegenden Fall erledigte dies aber der Firmeninhaber jeweils selbst! Dies alles entgegen alle internationalen Abkommen über die Behandlung von Kriegsgefangenen.
Nach dem Einmarsch wurden die Gefangenen über ihre Situation vom französischen Militär eingehend verhört, wobei sie natürlich von den erfahrenen Prügelstrafen berichteten. Der betreffende Betriebsinhaber kam sofort ins Gefängnis und blieb vermutlich auch einige Zeit dort. Seine Frau kam händeringend zum Dr. Aichner, mit der Bitte, er möge doch den Franzosen bestätigen, dass ihr Mann dies niemals getan hätte. Mit den Worten: „Liebe Frau X, Gefangene haut man nicht, ich war selbst jahrelang in Sibirien und ich weiß, wie hilf- und machtlos Kriegsgefangene solcher Willkür ausgeliefert sind. Sie werden verstehen, dass ich da nichts unternehmen werde".

Flucht über die Berge, zurück nach Südtirol
Der vormalige Gemeindearzt kehrte bald nach Kriegsende 1946 wirklich nach Hard zurück und S. A. verließ erneut (vorerst allein) seine Praxis und seine Familie, wiederum Richtung Innsbruck, Schöpfstraße 4, mit der Absicht, über die Berge nach Südtirol, möglichst in seine alte Praxis nach Niederrasen zurückzukehren. Dies erwies sich aber als schwierig, denn inzwischen hatte sich ja auch dort die politische Situation stark geändert, es „regierten" inzwischen die Dableiber, die den alten Optanten-Doktor eigentlich nicht mehr so recht haben wollten, stuften sie ihn doch als „Nazi" ein. Die Position eines Gemeindearztes erhielt er daher vorerst nicht, obwohl gar kein neuer Arzt da war, denn der an seiner Stelle seinerzeit installierte italienische Arzt hatte schon bei den Ereignissen zum 8.. September 1943 das Weite gesucht. Erst nach langen Streitigkeiten und mit Hilfe eines Rechts-anwaltes konnte er nach Jahren die Gemeindearzttätigkeit wieder geordnet aufnehmen.
1959 wurde Dr.S.Aichner von der Gemeinde Rasen Antholz (so nennt sich der Ort im Pustertal heute) in den Ruhestand versetzt und -wie bereits erwähnt- verstarb im Jahr 1969. Ein Jahr zuvor hatten die Gemeinden Rasen-Antholz und Olang ihn noch zum Ehrenbürger ernannt.
Ein durch die Wirren zweier Weltkriege bewegtes und in Teilen gar abenteuerliches Leben hatte sein Ende gefunden.
Dr. Aichner galt als gewissenhafter und guter Arzt, wozu wohl die in seinen ersten Berufsjahren in der Gefangenschaft mit Kranken und Verwundeten aller Art erworbene Berufserfahrung beigetragen hatte. Kein Weg zu den entferntesten Berghöfen war ihm zu weit, alle Geburten hatte er mit der örtlichen Hebamme zu machen. Das Krankenhaus in Bruneck war in den zwanziger und dreißiger Jahren noch eine armselige Einrichtung und wohl auch da war er vom Dienst in der Gefangenschaft nicht verwöhnt worden.
Von seinem Fleiß und seiner Ausdauer als Arzt auch in der Gefangenschaft geben auch die von den Russen über seine Tätigkeit im Krankenhaus von Irkutsk ausgestellten Zeugnisse Auskunft, von denen eines am Ende des Berichtes mit Übersetzung beigefügt ist.

Nachtrag: 1999, Besuch in Sibirien, auf den Spuren des Dr. Simon Aichner in Irkutsk, Fotos 11-13
Unsere jüngste Tochter, Mag. Regina Aichner absolvierte in den letzten Jahren die philosophische Fakultät der Universität Salzburg. Ihren schon guten Sprachkenntnissen musste sie noch eine weitere Sprache hinzufügen, wofür sie – im Zuge der jüngsten politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen – russisch wählte. Der Zufall wollte es nun, dass ihre Professorin Alfreda Arturowna Tamilowa aus Russland ursprünglich u..a. in Irkutsk am Baikalsee lebte. Auf einen Wunsch hin bat ich Regina, ihre Professorin darauf anzusprechen, ob es in Irkutsk heute noch Spuren aus den damaligen Zeiten gäbe, zumal doch tausende Gefangene in der näheren und weiteren Gegend zusammen mit einem großen Militärspital damals anwesend gewesen waren.
Ein weiterer Zufall wollte es, dass die Slawistik Salzburg zu jener Zeit ohnehin alljährlich Exkursionen nach Irkutsk veranstaltete und dies somit eine Möglichkeit bot, vor Ort zu recherchieren. Somit machten sich im Sommer 1999 zwölf Studierende für einen Monat auf den Weg nach Sibirien, um ihre Grundkenntnisse in Rus-sisch zu erweitern,während Frau Prof. Alfreda A. Tami-lowa und Regina auf die Spuren der öster-reichisch-ungarischen Kriegsgefangenen machten. Doch lassen wir hier Regina zu ihren Erlebnissen selbst zu Wort kommen: „Die Reise nach Sibirien war etwas ganz besonderes für mich. Abgesehen davon, dass ich noch nie in meinem Leben so weit gereist war, noch nie zuvor in Russland war, trug ich gleichzeitig die Hoffnung, in einer mir völlig unbekannten Gegend Spuren aus meiner eigenen Familie zu finden. Meine Russischlehrerin gab sich wirklich alle Mühe und ich habe es nie herausgefunden, wie sie es schaffte, dass unserer Gruppe Zugang zu jenem Militärspital gewährt wurde, in dem 80 Jahre zuvor mein Großvater seinen Dienst geleistet hatte. Das Spital steht heute noch in Verwendung, verfügt über einen ausrangierten Panzer im Hinterhof, über einen Theatersaal, über eine Bibliothek und über eine mit Teppichen ausgelegte Physiotherapie, deren Gerätschaften allerdings eher an mittelalterliche Folterkammern erinnerten. Leider verfügte das Spital über kein Archiv und es wurde nicht klar, ob sämtliche Dokumente nicht doch in Prag, im tschechischen Staatsarchiv verweilten. In Irkutsk selbst hatte die Stadtverwaltung im örtlichen zeitgenössischen Museum eine Archivarin beauftragt, sich mit den Kriegsgefangenen zu beschäftigen – mehr als ein dünnes Heftchen schien dabei jedoch nicht herausgekommen zu sein. Zu jener Zeit schien mir die Frage nach der tatsächlichen Lagerung der relevanten Dokumente noch unklar. Trotzdem war es mehr als spannend, in dieses historische Gebiet einzutauchen und etwas Staub aufzuwirbeln – in einem Bereich, wo Kriegswirren die schlichte Einteilung in Gut und Böse von vornherein machten."



(11) in Irkutzk, Eingangstor zum Krankenhaus im Jahr 1999.


(12) Korridor im Krankenhaus, neu für Europäer: überall Teppiche u. Blumen


(13) Krankenzimmer, ebenfalls-ausgelegt mit Teppichen

Erweiterte Anmerkungen zu den Fußnoten
Nr. der Fußnoten
1... Diesem Bedauern wird in der Nachkriegszeit von Seiten ehemaliger Gefangener stark widersprochen. Prof. Dr. Hans Weiland, Wien, z.B. würdigt in „Feindeshand, Band I, Seite 159 unter dem Titel „Ärzte in Gefangenschaft" ausdrücklich den hohen Wert der gefangenen Ärzte, denen von den Russen in ihrer Arbeit sogar geholfen wurde. Andernfalls wäre die Todesrate der Gefangenen ins unermessliche gestiegen.
Hier einige Auszüge aus diesem Aufsatz: „Wohl fast alle Ärzte empfanden es als schweres Unrecht, dass sie nach der Gefangenschaft und der Erledigung ihrer Aufgaben im Bereiche ihrer Hilfsplätze und Spitäler nicht im Sinne der bestehenden internationalen Vereinbarungen sofort oder doch möglichst bald ausgetauscht wurden, Viele litten an dieser Härte sehr und doppelt, wenn sie, wie es meist in Italien geschah, gar nicht als Ärzte im Dienste der Gefangenen-Sanität verwendet, sondern einfach wie alle übrigen Frontgefangenen, in Lager gesperrt, untätig warten und selbst mit hinsiechen mussten.
Wir „Plennys" (= russisch „Kriegsgefangene") freilich dachten über diese Frage ganz anders. Wir danken dem Schicksal, dass es so viele Ärzte, eigene Ärzte, bei uns ließ. Sie haben in der Gefangenschaft eine so gewaltige, eine so umfassende, so sehr rettende Aufgabe erfüllt, dass sie wie Missionäre des Lebens in den hoffnungslosen Bereichen des Todes standen. Was wäre aus uns Gefangenen geworden, wenn wir nicht doch, zerschossen und hilflos vom Schlachtfeld getragen, auf Hilfsplätzen und in Reservespitälern des Feindes und noch viel mehr in den Elendsbaracken der Lager bei eigenen Ärzten die warmherzige Fürsorge und Pflege teilnehmender Liebe gefunden hätten?. Tausende Mal hing die Rettung der Verwundeten in den Epidemiespitälern von der Liebe ab, die mehr gab als die kühle Leistung der bloßen Pflicht ... Wir danken allen unseren eigenen Ärzten, wir danken auch allen Ärzten unserer Feinde im Weltkrieg, die zu uns helfend als ,Menschen’ kamen."
1 ... Elsa Brandström, allgemein genannt „Der Engel von Sibirien":
„Wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt trat plötzlich im Auftrag des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz die 1888 geborene Delegierte des Schwedischen Roten Kreuzes, Elsa Brandström, Tochter des damaligen schwedischen Ministerpräsidenten (in neueren Veröffentlichungen wird sie als gebürtige Petersburgerin bezeichnet, was aber zu bezweifeln ist), in die einsamen Kriegsgefangenenlager Sbiriens. Elsa Brandström half, redete Mut zu, linderte die Schmerzen und wich nicht von den vom Infektionstod gezeichneten; mehr noch: sie rüttelte das Weltgewissen auf, lenkte einen Strom von Liebesgaben nach Sibirien, stellte die Verbindung zwischen Kriegsgefangenen und deren Angehörigen in der Heimat wieder her und brachte so Hoffnung, Genesung und Wiederkehr als eine der schönsten Gaben, die ein Mensch anderen geben kann. Durch den Umfang ihrer Leistungen, durch ihre persönliche Haltung und durch den Erfolg, der ihr beschieden war, rückte Elsa Brandström das Bild der Rot-Kreuz-Schwester in jene beglückende Einmaligkeit und in jene Helle, die den an Verzweiflung gebrochenen und Verzagten die Kraft des Widerstandes lieh und in den Augen Sterbender als letzte Versöhnung der entschwindenden Welt begegnete.". So in „Die Waffenlose Macht, Werden und Wirken des Roten Kreuzes in aller Welt", Verlag Traunau, Wels-Wien.
Elsa Brandström besuchte alle russischen Gefangenenlager, kümmerte sich um das Befinden der Insassen, verschaffte den Ärzten Medikamente und ärztliches Instrumentarium wo und wie wie weit sie immer konnte und in dieser Absicht besuchte sie auch das Krankenhaus in Irkutsk, wo Sie dann auch mit Dr. Simon Aichner zusammentraf.
Aber es gab auch noch eine Reihe anderer hervorragender Krankenpfleger und -Schwestern, die ihrem aufopferungsvollen Dienst mit größter Hingabe nachkamen. Stellvertretend seien nur noch neben dem schon genannten Dr. Burghard Breitner, dem Max Huber, waren noch die Gräfinnen Nora Kinsky und Alexandrine Üxküll besonders bekannt.
Es fällt hier auf, dass unter den erfolgreichen Krankenschwestern vornehmlich Töchter aus adeligen Häusern oder sonstigen in der Öffentlichkeit tätigen Familien stammten. Ich denke, dass das nicht unbedingt mit dieser sozialen Position zu tun hatte, sondern mit ihren damit verbundenen Persönlichkeiten: Sie hatten durchwegs eine hervorragende (auch strenge) Erziehung und schulische Ausbildungen genossen, sie beherrschten durchwegs mehrere Sprachen (bei Frau Nora Kinsky sollen es laut Literatur deren über zehn gewesen sein, die sie fließend gesprochen und geschrieben haben soll). Solche Gegenbenheiten waren vor hundert Jahren nur den (weiblichen) Angehörigen der „besseren Herkunft" vorbehalten. Sie sind aber immer noch ausschlaggebend dafür, wenn es gilt, seine Umgebung zu beeindrucken und sich in schwierigen Situationen zu behaupten und durchzusetzen. Inzwischen nennt man das bei den Frauen „Emanzipation", die ebenfalls eine gute Ausbildung als Grundlage erfordert, wenn sie erfolgreich sein soll..
Frau Hauenstecken: wohl österreichisches Mitglied derselben Delegation „Brandström"

2 ... Brest-Litowsk
: Mit dem Sonderfrieden von Brest-Litowsk zwischen der eben ausgerufenen Sowjetunion und Deutschland-Österreich am 3.3.1918 war der Erste Weltkrieg in Russland beendet.
3 ..Dr. Schneider
Der Verfasser hat im Jahr 1952 als damaliger Student an der TH Graz Herrn Dr. Schneider, der ebenfalls unversehrt aus der russischen Gefangenschaft heimgekehrt, und nun Prof. für Augenheilkunde an der Uni Graz war, im Auftrag von Dr. Simon Aichner besucht. Prof. Dr. Schneider freute sich natürlich über diese unerwartete Begegnung. Leider kannte ich damals noch nicht den vorliegenden „Lebenslauf".
4 .. Im politischen Spannungsfeld Irkutsk
Dazu folgende geschichtliche Bemerkungen aus Lexikon 2000, Wissen Verlag Stuttgart, 1971, Band 11: Irkutsk in den Wirren des russ. Bürgerkrieges 1918-1920.
Trotz des Friedens von Brest Litowsk gärte es stark in der ganzen neuen Sowiet Union und die revolutionären Ereignisse hatten zu ernstlichen, wirtschaftlichen Störungen geführt. Längst war die Ernährung der Bevölkerung nicht gesichert und Hunderttausende drohten mit Revolution. Gerade als 1918 die Wiederaufbau beginnen sollte, entzündete sich der Bürgerkrieg (1918 bis 1920) am Militäraufstand der zaristischen Generale A. I. Denkin, N.N. Judenitsch und A.W. Koltschak, die von den Allierten Truppen (Tschechoslowakische Legion) und von der Deutschen Wehrmacht (im Süden) unterstützt wurden. Unter Mobilisierung aller Kräfte besiegte die vom sowietischen Verteidigungskommissar Trotzki aufgestellte, „Rote Armee" (offiziell „Bolschewiki genannt) die „Weiße Armee"(offiziell „Menschewiki" genannt) unter Admiral Wassili Koltschak als Konterrevolution.
Der Russische Admiral Koltschak /1873 – 1920), erschossen von den Roten in Irkutsk, befehligte während des ersten Weltkrieges bis 1916 die Russische Marineflotte im Schwarzen Meer. 1916 wurde er zum Oberbebehlshaber der gesamten Schwarzmeerflotte ernannt. Ende 1917 verhandelte er im Auftrag der Kerensky Regierung als Leiter einer Delegation mit amerikanischen, japanischen und chinesischen Stellen, um diese zur Errichtung einer gemeinsamen, fernöstlichen Front gegen die Bolschewiki zu bewegen. In Omsk begann er 1918 eine antibolschewistische Armee zu organisieren und ließ sich kurz darauf zum Oberbefehlshaber aller zarentreuen Verbände in Russland ausrufen. Mit starken Einheiten stieß er bis über den Ural vor, wurde hier jedoch geschlagen und zum Rückzug gezwungen. 1920 spurte er die Arbeitermiliz in der Nähe der sibirischen Stadt Irkutzk auf, wo er von einem Tribunal zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde. Nach en Ausführungen Dr. S. Aichner dürften daran in erster Linie die Tschechen beteiligt gewesen sein.
Diese Ereignisse brachten für die östlich der Baikal-See-Region im Einflussbereich der Menschewiki internierten Kriegsgefangenen erhebliche Nachteile für die nächsten Jahre. Der Westen davon lag im Herrschaftsbereich der Bolschewiki. Zum einen wurden sie für ihre östlich davon gelegenen, europäischen, heimatlichen Hilfsorganisationen, wie Rotes Kreuz unerreichbar und zum anderen wurde auch jeglicher Versuch einer Heimführung gestoppt. Hier trat nun das Internationale Rote Kreuz in Genf auf Drängen Österreichs und Ungarns in Aktion, indem es schon 1919 versuchte, über seine Mitglieder in den USA und in Japan vom Osten her in das Gebiet der Menschewiki zu kommen, um die Rückführung der Gefangenen wieder in Gang zu bringen, indem es versuchte, Personen des diplomatischen oder konsularen Dienstes, zur Hilfe in den Bemühungen, die Gefangenen heimzubringen, bzw. ihnen zunächst zu helfen, einzuspannen. Die bedeutendste Mission war jene des Roten Kreuzes in Genf unter der Führung von Dr. George Montandon. Siehe dazu Pos. 6
Inzwischen waren in Irkutsk auch die politischen Veränderungen in Europa nach dem Kriegsende 1918 bekannt geworden. Besonders unter den Tirolern herrschte große Betroffenheit über den Verlust Südtirols nach Italien. Das Lagerleben hatte sich –wie schon erwähnt- unter den Rotarmisten weitgehend normalisiert und so überlegten nicht wenige, nicht mehr nach Südtirol zurückzukehren, sondern nach einer eventuellen Entlassung lieber in Sibirien zu bleiben. Auch Dr. Simon Aichner gehörte zu diesen und sc hrieb solche Überlegungen sogar seiner Frau nach Innsbruck. Auch er konnte sich in Irkutsk frei bewegen und zufolge seiner inzwischen erworbenen Sprachkenntnisse frequentierte er die russische Gesellschaft in Irkutsk. Dem Unterzeichneten Verfasser gestand er sogar einmal, dass er in seinem Leben nie wieder so eine soziale Position erreichte, wie damals in Irkutsk.
5 .. Alja Rachmanova
Alja Rachmanowa, russische Emigrantin in Wien in den zwanziger Jahren beschreibt das Gesellschaftsleben in der Zeit der russischen Revolution in mehreren Romanen, z.B. Studenten, Liebe, Tscheka und Tod und andere.
6... Mission Dr. Montandon (siehe „In Feindes Hand", II, Seiten 370 ff)
„Dr. Montandon brach im April 1919 von Bordeaux in Richtung Japan auf, wo er Anfang Juni in Yokohama anlangte. Japan war die wichtigste Macht, von deren Wohlwollen hinsichtlich der Gefangenenheimkehr viel abhing. Es hat selbst auch immer gegen die Gefangenen in loyaler Weise gehandelt und in Ostasien einige Lager , wie auch die Vereinigten Staaten in Verwaltung übernommen; die Behandlung war streng, aber gerecht, die Ordnung peinlich, aber für die Gefangenen, die unter der Schlamperei der Russen mehr gelitten hatten, als unter deren Niedertracht, angenehm".
Dr. Montandon bereiste nun von Wladiwostok aus sowohl das Gebiet der Menschewiki als auch der Bolschewiki und stellte fest, dass deren Auseinandersetzungen noch nicht beendet waren und insbesonders, dass für die Gefangenen im Gebiet der Menschewiki größte Gefahr bestand. Es ist auch aus dem Bericht Dr. Simon Aichner zu entnehmen, dass die Gefangenen ein Leben unter den Bolschewiki vorzogen, die ihnen, wie er berichtet „kein Haar krümmten". Dr. Montandon traf auch mit Elsa Brandström zusammen und konnte größere Mengen an Kleidungen und Lebensmittel für die Gefangenen beschaffen, sowie folgende Zahlen an noch heimzuführenden Gefangenen ermitteln:
148.000 Österreicher 18.500 Reichsdeutsche 3.500 Türken 10 Bulgaren
Insgesamt also 170.010 Mann.
Die Gesatzahl der Gefangenen aus der K.u.K. Armee im Russlandfeldzug 1914-1917 ist auch aus der neuesten Literatur nicht bekannt. Die Schäzungen bewegen sich zwischen 1.900.000 und 2.300.000.
Erst seit dem Fall des kommunistischen Regimes Ende der 80er Jahre sind die versch. Archive für Ausländer zugänglich geworden, und damit gibt es erst in den 90er Jahren entsprechende Literatur, insbesonders in Form von Dissertationen versch. Universitäten. Bezeichnend darin ist vielfach der darin abhanden gekommene, persönliche Bezug der Autoren zu den einzelnen geschichtlichen Ereignissen und ihre Wirkung auf die Menschen selbst, womit darin im Wesentlichen darin kaum zusammenhängende, individuelle Schilderungen zu Gunsten von sprunghaften Kurzinformationen und Zahlenreihen aus entsprechenden Archiven zu finden sind. Insgesamt fehlt stets eine durchgehende Linie in Forme von Erlebnisberichten. Zwangsläufig entstand ein vielfach farbloser und nüchterner Stil der reinen Historiker Kultur.
Die ganze Rückführung der Gefangenen nach Österreich gestaltete sich sehr komplex und in vielen Gruppen, und deren Schilderung im einzelnen würde den Rahmen des vorliegenden Berichtes sprengen. Während aus Westrußland der Heimkehrtransport gleich 1917 nach dem Frieden von Brest Litowsk einsetzet, gerieten die Gefangenen in Sibirien in die Auseinandersetzungen der russ. Revolution zwischen den Menschewiki und den Bolschewiki, deren Grenze geradewegs durch den Baikalsee führte. Die Heimfahrten (an denen die Russen selbst wegen der wertvollen Arbeitskräfte überhaupt nicht mehr interessiert waren) verzögerten sich bis ins Jahr 1922.
Dr. Simon Aichner kam im Rahmen der „Mission Montandon" mit dem Frachter „Frankfurt" mit der Gruppe „Irkutsk II" ab Lager Werchne-Udinsk ab 24. September 1920 über Japan, China, Indien, Suez-Kanal im Februar 1921 nach Triest, zusammen mit 720 Mann nach Hause zurück, wie auch seinem Bericht zu entnehmen ist. Der Frachter gehörte den Japanern, die für die Überfahrt etwa 150 US-Dollar verlangten, die u.a. das US-Amerikanische Rote Kreuz vorwiegend von Juden in New York und anderen Grossstädten der USA an die zehn Millionen US Dollar gesammelt hatte. Je heimgeführten Gefangenen verlangten die Japaner an die 160 US Dollars. Dazu ist zu ergänzen, dass sich im Österreichisch-Ungarischen Heer viele Juden sowohl im Mannschafts- als auch im Offiziersrang gedient hatten. Weitere große Beträge wurden in den nordischen Staaten gesammelt. „In Feindes Hand, Band II".

Bilder- und Literaturnachweise

Bildernachweis:
(1) Heimathaus Dr. Simon Aichner in Terenten, ca. 1910, Privatbesitz
(2) Dr. Simon Aichner, ca. 1955, Privatbesitz
(3) Elsa Brandström, aus „In Feindes Hand", Band II
(4) Gräfin Kinsky, aus „Die Waffenlose Macht", Werden und Wirken des Roten Kreuzes
(5) Patienten in russ. Lazarett, aus „In Feindes Hand", Band II „
(6) Leo Trotzky, „In Feindes Hand", Band II
(7) Dr. S. Aichner mit Kollegen in sibir. Lager , Privatbesitz
(8) Frachter Frankfurt, aus „In Feindes Hand", Band II
(9) Dr. Montandon, aus „In Feindes Hand", Band II
(10) Eingangstor zum KH in Irkutsk 1999
(11) Im Krankenhaus in Irkutsk 1999, Korrodor
(12) idem, Krankenzimmer

Literaturnachweis:
Lebensbeschreibung Dr.. Simon Aichner 1942, Privatbesitz
„Lexikon 2000
„In Feindes Hand", Band I, , Die Gefangenschaft im Weltkrieg in Einzeldarstellungen, Zusammengestellt von Prof. Hans Weiland und Dr. Leopold Kern, Herausgegeben von der „Bundesvereinigung der ehemaligen Österreichischen Kriegsgefangenen" in Wien
„In Feindes Hand", Band II
„Die Waffenlose Macht", Werden und Wirken des Roten Kreuzes, Verlag Rudolf Traunau – Wels-Wien

Zeugnis zur Tätigkeit im Spital in Irkutzk 1918-1920 des Dr. Aichner.
Anmerkung: Den gefangenen Ärzten wurden von den Spitalsverwaltungen jeweils Zeugnisse über ihre berufliche Tätigkeit ausgestellt. Diese konnten dann in der Heimat beglaubigt werden. Nachstehend als Beispiel eines davon aus der Spitalsverwaltung Irkutsk, hier „Tschechisches Spital Nr.1" genannt, da es ausschließlich von Tschechen besetzt war. Nachfolgend die Übersetzung der Beglaubigung vom Gericht in Bozen aus dem Jahr 1921 und die deutsche Übersetzung des Verfassers. Das Original ist vorhanden, wie alle weiteren Bestätigungen der anderen Lagerkranenstationen

Bestätigung Nr. 4579
Ausgefertigt vom tschechoslowakischen Militärspital Nr. 1 an den Kriegsgefangenen Arzt des österreichischen-ungarischen Heeres, Dr. Simon Aichner, welcher im Dienste der therapeutischen Abteilungen der Tschechoslowakischen Spitäler in der Zeit vom 25. November des Jahres 1918 bis zum Tag 20 Januar dieses Jahres gestanden hat. In dieser Tätigkeit hat er eine gute klinische Ausbildung bewiesen und einen enormen Einsatzwillen gezeigt.

Das Verhältnis des Dr. Aichner zu den Kranken stand über jede Belobigung, da er stets eine große Popularität und Sympathie bei allen unseren Kranken genoss.
In diesem Sinne bestätige und unterschreibe ich unter Beifügung des amtlichen Siegels.
Stadt Irkutzk, am 20. Januar des Jahres 1920.

Gezeichnet:
Der Chefarzt des Tschechoslowak. Militärspitals Nr.1, der Oberfeldveterinär ...(Unterschrift)
Für den Hauptverwalter, der Assistenzarzt (Unterschrift)
Der Sekretär des Tschechischen Spitals (Unterschrift)


Anschrift des Autors:
Dr. Ing. Peter Aichner
Weinbergstraße 39
I-39042 Brixen
Tel. ++390472-836014,
e-mail funkbase-peter@gmx.net


Samstag, 4. Oktober 2008

SPIEGEL Bericht 33/2008 "Globale Informationsgesellschaft"

Vorab folgende Bemerkung: Ich bin sehr intensiver Spiegelleser und darf Ihnen auch zum nachstehenden Bericht danken. Leider haben die umfangreicheren Berichte, bei denen auch mehrere Verfasser zeichnen ein redaktionelles Manko, einmal in Ihrer "bandwurmförmigen" Länge, in der zwangsweise Wiederholungen vorkommen und die zu Unübersichtlichkeiten führt. Unterbrechungengen des Gesamttextes durch Zwischenüberschriften wären wünschenwert. Danke. Die Globale Informationsgesellschaft. Im gegenständlichen SPIEGEL-Bericht wird eingangs von einem Treffen der "Globalen Informationsgesellschaft" berichtet, dass man vor der inzwischen eingetretenen Datenflut und einer Internet-Lawine Angst bekäme, die offensichtlich von Jugendlichen in der unprofessionellen Art und Weise einer überbordenden Datenbenutzung in den letzten Jahren ausgelöst wurde. Der Unterzeichnet wird in diesem Jammr an das Gedicht "Der Zauberlehrling" von J.W. von Goethe erinnert ...Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los.... Nein, das trifft hier bestimmt nicht zu; Unsere Gesellschaft hat sich im vergangenen Jahrhundert zuviel mit Kriegeführen, mit Waffentechnik, mit gigantischen Wiederaufbauprogrammen beschäftigen müssen und so wurde in der Folgezeit in anderen wiederentdeckten Aktivitäten gerne übertrieben. Es st bestimmt ncht so, daß Kinder und Halbwüchsige im Internet die Szene beherrschen. Wenn ja, dann ist es vielfach so, daß deren Eltern wenig oder keine Zeit für sie haben und dafür den PC anschaffen! Neben der Datentechnik geschieht was Ähnliches im "Urlaubmachen". Das ursprüngliche Ziel einer Suche nach Erholung wird diese über die ebenfalls rasant entwickelte Verkehrstechnik durch reine Neugierde und einem ungebremsten Erlebenswillen ersetzt. So manches Andere ist in dieser Zeit ebenfalls aus dem Ruder gelaufen. Online von früh bis spät. Im Datenverkehr führt das zu "Online von früh bis spät" Allerdings ist in der Datentechnik ein interessantes Phänomen zu beobachten, das die Sache noch verkompliziert: üblicherweise erobern uns technische Neuheiten in den Altersgruppen "von oben nach unten". In der Datentechnik und insbesonders in der grenzenlosen Vernetzung scheint es umgekehrt verlaufen zu sein: besonders im schulischen Bereich sind die jungen Leute in der Verwendung des Internet heute noch meist ihren Lehrern voraus. Da nützt es nichts, wenn letztere schnellstens massenweise PC anschaffen und damit ihren Fortschritt zu beweisen versuchen, wenn die Lehrer selbst von der Materie kaum etwas verstehen. Die mittlere Generation hat zu lange auf diese Entwicklung herablassend ragiert, und auch heute noch findet man in talk.shows mittlere und ältere Herren, die im Brustton der Überzeugung den Schreibcomputer mit Hinweis auf ihre Schreibmaschine aus den 50er Jahren ablehnen. Dies in der Annahme, besonders fortschrittlich zu sein. So geschehne erst kürzlich bei Maischberger durch den bekannten Kabarettisten Werner Schneyder als Teilnehmer. Es war erbärmlich. Zum Thema "Abschreiben": Kopiert und abgeschrieben wurde schon immer, selbst von renommierten Autoren: wer erinnert sich nicht an diesbezüglichen Aussagen von Raich Ranitzky in seiner Sendung "Das literarsiche Quartett", der sich nicht scheute, auch berühmte Autoren zu diesem Thema anzuprangern. Hier haben die Lehrer die Chance, ihre Schützlinge in die professionelle Technik des Recherchierens und auf die Pflicht der Quellenangabe hinzuweisen. Setzt man die kopierte Stelle in Gänsefüße und versieht das Ganze am Ende mit einer Fußnote mit der Quellenangabe, so ist die Sache in Ordnung, wenn es sich auch noch in den Kontext des übrigen Berichtes einfügt und nicht isoliert da steht. Möglicherweise hat aber der Lehrer auch davon keine Ahnung! Macht Google dumm? Nein bestimmt nicht. Google hat kürzlich einen Wettstreit mit den Autoren des Großen Brockhaus gewonnen. Die Kommission hat nach eingehender Überprüfung Google die Note 1,5 und dem Brockhaus die Note 2,0 gegeben. Goole macht somit ebenso wenig dumm, wie die Lektüre im Brockhaus. Wikipedia dagegen ist damit nicht zu vergleichen. Letztere ist eher ein Quellenhinweis zu gesuchten Schlagwörtern, sicher ohne die dabei zitierten Werke inhaltlich auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Das wird dabei dem Interessenten überlassen. Dr.Zuse. Dr. Zuse hat mit den beschriebenen Datentechniken noch nichts zu tun. Er war von Beruf Bauingenieur und hat sich in der Ausführung der Projekberechnungen an der wiederholten Berechnung von z.B. Belastungwerten über simple Formeln geärgert. Daher sein Geständnis, "seine Faulheit habe ihn zum Computer gebracht". Zuse hat jedoch im Jahr 1942 ein Grundsatzpatent beim Deutschen Patentamt eingereicht mit der kennzeichnenden Beschreibung, aus welchen "Einzelwerken" so ein Gerät zusammenzusetzen sei. Darin ist die Rechenmaschine in ihren Komponentenwie folgt beschrieben: sie muß folgende Teile aufweisen: a) ein Speicherwerk, ein Rechenwerk und c) ein Programmwerk. Das alles natürlich mit entsprechenden Beschreibungen und einem funktionierenden Modell, in Zeichnungen dargestellt.. Zuse hat in den 50er Jahren aus finanziellen Gründen seine schwebenen Patentanmeldungen an einen Norddeutschen Elektronikkonzern abgetreten, der sich nun seinerseits über die betriebseigene Patentabteilung um deren Erteilungen beim Deutschen Patenamt in München bemühte. Auch die genannte Patentanmeldung aus dem Jahre 1942 war noch dabei. In diesen Jahren arbeitete ich in dieser Patentabteilung und kam dabei mit Dr.Zuse und dessen Patenten zusammen. Zu seinem Leidwesen wurde das genannte Grundsatzpatent vom Deutschen Patentamt nach weiteren Jahren der Auseinandersetzungen wegen "mangelnder Erfindungshöhe" nicht erteilt. Entgegengehalten wurden die Arbeiten des Mr. Babbage aus den USA, der seinerzeitdie mit Lochkarten gesteuerten Webstühle erfunden und damit die Arbeiten des Dr.Zuse vorweggenommen hätte. Wer's glaubt .... Der SPIEGEL-Bericht enthält noch weitere Ausführen zur gegenständlichen Thematik, Aus Zeitlichen Gründen will ich es aber bei diesen Bemerkungen belassen. Dr.Ing. Peter Aichner, Weinbergstraße 39, Brixen Südtirol.